Rollieren und Glattwalzen – zwei im Grunde unterschiedliche Verfahren zur Oberflächenbearbeitung

Wer sich über den Fertigungsprozess „Rollieren“ informieren möchte, muss sich darüber im Klaren sein, dass dieser Begriff heute in der Regel anders verwendet wird, als er eigentlich definiert wurde. Mit dem Begriff Rollieren wird inzwischen üblicherweise das lokale Umformen von Rauheitsspitzen durch einen abrollenden Walzkörper beschrieben. Oder einfach gesprochen: Das Rollieren wird mit dem Glattwalzen oder auch dem Festwalzen gleichgesetzt.
Historisch gesehen sind die Prozesse Rollieren und Glattwalzen allerdings zwei völlig unterschiedliche Prozesse, die sogar in Konkurrenz stehen. Allerdings findet man heute in den vielen Veröffentlichungen, Texten und Prozessbeschreibungen kaum eine gute Abgrenzung oder Aufarbeitung dieser Begriffe. Dies wollen wir an dieser Stelle nachholen.
Wann wird das Rollieren eingesetzt?
Beide Verfahren wurden in der Vergangenheit erfolgreich eingesetzt, um Bauteile mit extrem hoher Oberflächengüte herzustellen. Das Rollieren wurde insbesondere in der Fertigung von Kleinteilen, z. B. in der Uhrenindustrie verwendet. Der Durchmesserbereich für das Rollieren liegt bei D = 0,1 – 8 mm. Beim Glattwalzen hingegen können auch sehr große Durchmesser von bis zu D = 400 mm und mehr bearbeitet werden. Auch existiert heute eine Vielzahl unterschiedlicher Werkzeuge, die unterschiedlichste Geometrien bearbeiten können.
Der wesentliche Unterschied zwischen dem Rollieren und dem Glattwalzen ist jedoch die Art der Einglättung. Beim Rollieren kommt es zu einem minimalen Materialabtrag, weshalb es den spanenden Verfahren zuzuordnen ist. Beim Glattwalzen hingegen wird die Oberfläche umformend eingeglättet. Die Rauheitsspitzen werden durch eine Walzrolle lokal verformt, wodurch die Rauheit reduziert wird. Um die Unterschiede beider Verfahren genauer zu beschreiben, werden nachfolgend die Prozesse getrennt voneinander beschrieben.
Rollieren – ein spanendes Verfahren für glatte Oberflächen
Der Prozess des Rollierens entspricht von der Kinematik dem Außenrundschleifen. Als Werkzeuge werden speziell geformte Scheiben aus einem Hartstoff verwendet. Meistens hergestellt aus Werkzeugstahl, Hartmetall oder Oxidkeramik. Diese sogenannte Rollierscheibe rotiert mit einer Umfangsgeschwindigkeit von vR = 180 – 300 m/min und wird mit einer geringen Kraft auf die Bauteiloberfläche gepresst. Dabei rotiert das Werkstück mit einer deutlich geringeren Rotationsgeschwindigkeit von vWst = 3 – 7 m/min in entgegengesetzter Richtung. Es kommt also zu einer Relativbewegung der beiden Oberflächen zueinander.

Wichtig dabei ist, dass das Werkstück nicht frei rotiert, sondern in einer Art Hülse, genannt Brosche, abgestützt wird. Das Bild 1 zeigt schematisch den Prozessablauf des Rollierens.
Das sehr geringe Zerspanvolumen beim Rollieren wird durch die abrasive und aufgeraute Oberfläche der Rollierscheibe erzeugt. Das bedeutet, dass im Gegensatz zu Schleifwerkzeugen eine Rollierscheibe nicht aus den drei Bausteinen Schleifkorn, Bindung und Pore, sondern lediglich aus einem Hartstoff besteht.
Rollierverfahren für unterschiedliche Werkstückkonturen
Üblicherweise wird das Rollieren für die finale Bearbeitung von kleinen Wellenzapfen verwendet. Die zylindrische Außenfläche wird dabei von der Rollierscheibe bearbeitet. Um den Abtrag zu erzeugen, wird die Rollierscheibe beim Rollieren mit einer Kraft von nur FR = 10 – 30 N auf die zu bearbeitende Fläche gepresst. Hierbei spricht man vom Einstech- oder Form-Rollieren. Die Rollierscheibe wird dabei rein radial zugestellt. Durch eine Profilierung der Scheibe können damit dann auch nicht-zylindrische Bauteile rolliert werden.
Beim Längs-Rollieren kommt zur radialen Zustellung noch eine axiale Bewegung der Scheibe hinzu. Analog zum Außenrundschleifen bewegt sich die Scheibe mit einer Vorschubgeschwindigkeit in axialer Richtung über das Bauteil, um eine größere Fläche zu bearbeiten.
Stirnflächen oder Schultern lassen sich mit dem Stirn-Rollieren bearbeiten. Ähnlich wie beim Längs-Rollieren wird hier eine axiale Bewegung genutzt. Allerdings hat sie in diesem Fall nur den Zweck des axialen Anpressens der Rollierscheibe gegen die Schulter.
Zwei etwas exotischere Verfahren sind das Kopier-Rollieren oder das Rollieren mit Handrollierstahl. Beim Kopier-Rollieren wird das Werkzeug mit einer speziellen Kinematik über die Kuppe geführt, um auch diese einzuglätten. Üblicherweise werden alle bisher genannten Verfahren auf Rolliermaschinen eingesetzt. Dem gegenüber steht das Rollieren mit Handrollierstahl. Das Werkzeug ist hier ein Stab, ähnlich einer Feile, der von Hand auf die Oberfläche gepresst wird.
In den Anfängen war das Rollieren ein manueller Prozess, der aber mit zunehmender Teilezahl immer weiter automatisiert wurde. Am Ende wurde dieser Prozess fast ausschließlich auf Maschinen automatisch ausgeführt und das Hand-Rollieren damit ersetzt. Bild 2 zeigt eine Übersicht über die unterschiedlichen Rollierverfahren und deren spezifische Kinematik.

Rollierwerkzeuge - Aufbau und Struktur
Rollierwerkzeuge sind insgesamt sehr einfach aufgebaut. In der Regel bestehen sie aus Scheiben mit einer zylindrischen oder leicht kegeligen Außenfläche. Als Werkstoffe werden unterschiedliche Hartstoffe verwendet, zum Beispiel Werkzeugstahl, Hartmetall oder Oxidkeramik.
Die Oberfläche der Scheibe wird durch einen Schleifprozess hergestellt, wobei eine spezifische Rautiefe von Rt = 6 – 15 µm erzeugt wird. Interessant ist, dass die Schleifriefen eine bestimmte Ausrichtung haben. Tendenziell sind sie eher axial orientiert, haben aber einen Anstellwinkel von 10 – 30° zur Achse. Durch diese Orientierung der Rauheitsstrukturen wird ein Materialabtrag auf der Bauteiloberfläche erzeugt und diese dadurch eingeglättet. Mit zunehmender Einglättung steigt bei dieser Kinematik die mechanische Last des Prozesses, wodurch die Randzone leicht verändert wird. Konkret kommt es zu einer Aufhärtung der Oberfläche.
Zusätzlich zur Rollierscheibe wird eine Werkstückauflage benötigt. Diese sogenannte Brosche ist in der Regel exakt an den Durchmesser des Werkstücks angepasst und sorgt für eine halbseitige Einlage des Bauteils in der Brosche. Häufig wird die Brosche wie in Bild 1 dargestellt eingesetzt, so kann sie länger verwendet und die Standzeit erhöht werden. Um dies noch weiter zu optimieren, wird auch die Brosche aus einem gehärteten Werkstoff, meist sogar Hartmetall, hergestellt.

Oberflächenqualität nach dem Rollieren
Das Ergebnis beim Rollieren hängt von unterschiedlichen Parametern ab, wie der Vorbearbeitung, der Rollierzeit, der Rollierkraft und der verwendeten Schmierung.
Die Vorbearbeitung sollte durch Feindrehen, alternativ auch durch Feinschleifen, erfolgen. Je nach Bearbeitungsdurchmesser und Werkstoff sollte ein Rollieraufmaß und eine Vorbearbeitungsrautiefe vorhanden sein. In der zurückgezogenen VDI-Richtlinie 2032 „Rollieren und Glattwalzen“ werden die Rollieraufmaße und Rautiefen in Tafel 2 angegeben. Im Schnitt spricht die Richtlinie von einer Durchmesserzugabe von 15-25 µm, die optimalerweise durch Feindrehen erzeugt wird. Die Rautiefe vor dem Rollieren sollte bei Rt = 1 – 3 µm liegen. Insgesamt sollte das Bauteil also schon entsprechend glatt sein. Durch das Rollieren kann dann eine Rautiefe von Rt = 0,1 – 0,8 µm erzeugt werden, und das für unterschiedliche Werkstoffe von Messing bis hin zu Automatenstählen mit einer Härte von bis zu 62 HRC.
Wichtig ist, dass bei diesem Prozess das Fressen des Bauteils verhindert wird, damit die Oberfläche optimiert und nicht verschlechtert wird. Dies wird durch den unerlässlichen Einsatz von Kühlschmierstoffen erreicht. Neben dem Kühlen des Prozesses ist dies die wichtigste Aufgabe des Mediums. Oft wird ein Gemisch aus Schmieröl und Petroleum verwendet.
Glattwalzen, das „neue“ Rollieren?
Beim Glattwalzen sind die Prozesszusammenhänge komplett anders. Hier wird durch ein Umformen der Rauheitsspitze eine signifikante Einglättung erreicht. Der Prozess wurde hier bereits in einem anderen Beitrag detailliert vorgestellt. Daher werden nachfolgend nur die wichtigsten Eigenschaften beschrieben.
Beim Glattwalzen wird ein Walzkörper mit einer definierten Walzkraft auf die Oberfläche gepresst. Durch die Rotationsbewegung des Werkstücks oder des Werkzeugs rollt der Walzkörper dann auf der Oberfläche ab. Die Rolle selbst wird aber nicht gesondert angetrieben. Wie der Walzkörper auf die Oberfläche gepresst wird, kann unterschiedlich gelöst werden. Häufig wird eine Federkraft oder ein mechanisch auf Übermaß eingestelltes Werkzeug verwendet. Es kann aber auch eine hydrostatisch gelagerte Walzkugel genutzt werden.
Die Form des Walzkörpers ist beliebig und kann je nach Bauteilgeometrie unterschiedlich gestaltet werden. Auch die Lagerung der Rolle kann direkt oder indirekt erfolgen und ist immer passend zur Anwendung zu wählen. Bild x zeigt drei unterschiedliche Werkzeugtypen, wie sie für das Glattwalzen eingesetzt werden.

Durch die mechanische Pressung des Werkzeugs auf die Oberfläche entsteht ein plastisches Fließen des Materials in der Randzone, also unter der Oberfläche. Dadurch entsteht eine deutlich eingeglättete Oberfläche mit gemittelten Rautiefen deutlich unter Rz = 1 µm und einer spürbaren Homogenisierung der Oberfläche. Zusätzlich verändern sich aber auch die Materialeigenschaften in der Randzone. Es kommt zu einer Kaltverfestigung, einer Steigerung der Versetzungsdichte, einer Erhöhung der Randschichthärte und dem Einbringen von Druckeigenspannungen. All dies wirkt sich positiv auf die Lebensdauer und Verschleißfestigkeit des Bauteils aus.
Je nach Zielsetzung im Prozess spricht man entweder vom Glattwalzen oder vom Festwalzen. Beim Glattwalzen ist das vordergründige Ziel das Reduzieren der Oberflächenrauheit. Beim Festwalzen fokussiert der Prozess immer auf das Einbringen der richtigen Verfestigung. Je nachdem, welche Zielsetzung im Vordergrund steht, muss in der Prozessführung mehr oder weniger auf die Prozessparameter geachtet werden. Auch hierzu wurden schon unterschiedliche Beiträge und Videos veröffentlicht.

Vergleich von Rollieren und Glattwalzen
Betrachtet man den bisher beschriebenen Text, dann fällt zunächst einmal auf, dass beide Verfahren die Oberfläche signifikant einglätten und es sich bei beiden Prozessen um ein Oberflächenbearbeitungsverfahren handelt. Diese Prozesse stehen in einem direkten Wettbewerb zum Schleifen, Feinschleifen, Polieren oder Feindrehen, haben diesen gegenüber aber einige wesentliche Vorteile.
Gerade im Vergleich zu den Schleifverfahren sind die Prozesse deutlich produktiver und verursachen geringere Werkzeug- und Maschinenkosten. Vor allem bringen das Rollieren und das Glattwalzen weitere Benefits für das Bauteil, weil sie durch den mechanischen Anteil die Randzoneneigenschaften mit verbessern.
Im direkten Vergleich zwischen dem Rollieren und dem Glattwalzen ist die Einsatzbreite des Glattwalzens aber deutlich größer und der Prozess wesentlich prozesssicherer und effizienter. Dies lässt sich zum Beispiel an der geforderten Vorbearbeitung zeigen. Die Ausgangsrautiefe für das Glattwalzen kann bei Rz = 20 µm liegen und es wird trotzdem ein Rz-Wert von unter 1 µm erreicht.
Rein sprachlich werden die beiden Prozessbezeichnungen inzwischen synonym verwendet. Waren in den 70er Jahren beide Prozesse noch bekannt und wurden auch in Lehrbüchern unterschiedlich behandelt, findet man den Begriff „Rollieren“ in der Ursprungsform eigentlich nirgendwo mehr. Vermutlich wird der Prozess demnach auch nur noch selten real durchgeführt.
Wer heute vom Rollieren spricht, meint eigentlich das Glattwalzen. Dieser Begriff hat sich im Internet ohnehin durchgesetzt, und er findet auch immer häufiger Verwendung in Zeitschriftenartikeln und wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Aus diesem Grund wird auch von der ECOROLL AG, einem der führenden Hersteller von Werkzeugen für das Glatt- und Festwalzen, vom Rollieren, dem Rollierwerkzeug oder dem Rollierprozess gesprochen, auch wenn dies historisch gesehen natürlich nicht ganz korrekt ist. In unseren Unterlagen und Texten verwenden wir die Begriffe Rollieren, Glattwalzen und auch Festwalzen synonym. Allerdings stellen wir speziell das Festwalzen oftmals gesondert heraus, da dessen Zielsetzung über das einfache Glätten der Oberfläche hinausgeht und dadurch höhere Anforderungen an den Prozess gestellt werden.
Literaturquellen:
[1] | Verein deutscher Ingenieure: VDI/VDE-Richtlinie 2032 – Rollieren und Glattwalzen. VDI/VDE-Handbuch Feinwerktechnik, zurückgezogen |
[2] | Schulze, V., Bleicher, F., Groche, P., Guo, Y. B., Pyun, Y.S.: Surface modification by machine hammer peening and burnishing. CIRP Annals – Manufacturing Technology, Vol. 65, 2016, S. 809-832 |
[3] | Spur, G., Stoeferle, T.: Handbuch der Fertigungstechik. Band 3/2: Spanen. Hanser Verlag, München/Wien, 1980 |
[4] | Sörgel, T.: Jahrbuch Oberflächentechnik. Leuze Verlag, Band 72, Bad Saulgau, 2016 |
[5] | Hiersig, H.M.: Lexikon Produktionstechnik Verfahrenstechnik. Springer Verlag, Düsseldorf, 1995 |
[6] | Schulze, V.: Modern mechanical surface treatment – States, Stability, Effects. Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2006 |