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Wie überlagern sich Last- und Eigenspannungen?


So kann die Wirkung von Eigenspannungen abgeschätzt werden

Die Wirkung von Eigenspannungen in der Konstruktionsphase abzuschätzen, ist nicht immer leicht. Grundsätzlich ist bekannt, dass Eigenspannungen die Bauteillebensdauer signifikant beeinflussen können. Aus diesem Grund werden Prozesse wie das Festwalzen, Oberflächenhämmern oder ebenfalls das Kugelstrahlen auch immer wieder eingesetzt. Sie erzeugen die notwendigen Druckeigenspannungen in der Randzone und sind so maßgeblich dafür verantwortlich, die Lebensdauer eines dynamisch belasteten Bauteils zu verlängern. Für die Konstruktionsabteilungen ist es aber immer noch schwer, dies in der Berechnung mit zu berücksichtigen. Nachfolgend wollen wir erklären, wie eine erste grobe Abschätzung erfolgen kann und wie es eigentlich dazu kommt, dass Eigenspannungen eine Wirkung auf die dynamische Festigkeit haben.

Eigenspannungen sind innere Spannungen im Gefüge

Zunächst müssen wir verstehen, was Eigenspannungen eigentlich sind. Eigenspannungen sind Spannungen im Gefüge eines Bauteils, die auch dann vorliegen, wenn keine äußeren Kräfte, Momente oder Temperaturgradienten am Bauteil anliegen, das Bauteil also vollkommen unbelastet im Raum steht. Sie können überall in der Fertigungskette entstehen und sind die Folge von mechanischen und thermischen Lasten während der einzelnen Fertigungsschritte. So können beim Gießen sogenannte Gusseigenspannungen entstehen, weil das Bauteil unterschiedlich schnell in den verschiedenen Bereichen abkühlt. Sie können bei der Zerspanung aufgrund der starken thermo-mechanischen Belastungen durch die Schneide entstehen oder auch gezielt mittels mechanischer Verfestigungsprozesse erzeugt werden. 


Grundsätzlich unterscheidet man bei Eigenspannungen, wie auch bei Lastspannungen, zwischen Zug- und Druckeigenspannungen. Zugeigenspannungen werden mathematisch durch eine positive Zahl beschrieben, Druckeigenspannungen durch eine negative Zahl. Verallgemeinert gesprochen kann man sagen, dass Druckeigenspannungen die Lebensdauer von Bauteilen verlängern, Zugeigenspannungen diese hingegen verkürzen. 

Der Grund liegt in der Rissinitiierung durch Spannungsspitzen. Wird die Zugspannung an einem Punkt im Bauteil zu groß, wird es an dieser Stelle einen Riss bekommen. Zunächst ist dieser Riss klein, wird aber mit weiterer Belastung immer größer bis es schließlich zum Versagen des Bauteils kommt. Vereinfacht kann man sich vorstellen, dass Zugeigenspannungen zusätzlich an dem Riss ziehen und ihn somit schneller wachsen lassen. Druckeigenspannungen wirken der Rissausbreitung entgegen und verlangsamen somit das Risswachstum.

Überlagerung von Last- und Eigenspannungen

Wie alle Spannungen können auch Eigenspannungen mit den Lastspannungen überlagert werden. Das kann durch eine einfache Superpositionierung passieren. Sprich, die Last- und Eigenspannungen werden einfach miteinander addiert. Das Ergebnis ist dann eine resultierende Spannung. Am Beispiel eines einachsigen Spannungszustands, also eines Stabs, können wir dies leicht nachvollziehen. Wird an diesem Bauteil eine einachsige Zugspannung von sLast = 600 MPa aufgebracht und es hat keine Eigenspannung, dann ist die resultierende Spannung weiterhin sRes = 600 MPa. Wird der Stab hingegen mit einer Druckeigenspannung sESP = -200 MPa in der gleichen Richtung versehen, dann werden mathematisch die 200 MPa von den 600 MPa abgezogen und die resultierende Spannung beträgt sRes = 400 MPa. Ein Stab der beispielsweise bei 550 MPa versagen würde, könnte somit im zweiten Fall verwendet werden, im ersten Fall nicht. So kann die Wirkung von Eigenspannungen nachvollziehbar erklärt werden.


Wie ist das nun aber in einem mehrachsigen Spannungszustand? Hier muss das Konzept natürlich auf den gesamten Spannungstensor angewendet werden. In diesem Fall müssen für jede Komponente aus dem Spannungstensor die entsprechenden Eigenspannungswerte verwendet werden. Es müssen beispielsweise in der x-Richtung die Hauptspannung sx mit den Eigenspannungen in x-Richtung verrechnet werden. Führt man dies für alle Komponenten sowie auch die Schubspannungen durch, bekommt man einen vollständigen eigenspannungsbehafteten Spannungstensor [1]. 


Damit man nun die Wirkung auf die Festigkeit abschätzen kann, können die Konzepte der Vergleichsspannung angewendet werden. Damit wird der Spannungstensor auf einen einzigen Spannungswert komprimiert und kann mit den Festigkeitskennwerten aus dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm verglichen werden. 

Die vorgestellte Methode ist natürlich keine vollständige Lebensdauerbewertung, und für eine Abschätzung der dynamischen Festigkeit müssen immer weitere Berechnungen oder auch Versuche durchgeführt werden. Allerdings erlaubt die vorgestellte Methode, die Wirkung von Eigenspannungen grob abzuschätzen. Effekte, wie eine zusätzliche Verfestigung des Gefüges oder ein Eigenspannungsabbau während der Belastung, werden aber auch damit nicht berücksichtigt. 

 

[1]Mörke, T.: Randzonenanalyse zur Bestimmung mechanischer Belastungen im Lebenszyklus spanend gefertigter Bauteile. Dr.-Ing. Dissertation, Leibniz Universität Hannover, 2016